Zum Umgang mit Anglizismen im Deutschen

Öffentliche Debatten, die die deutsche Sprache – ihre Regeln, ihre Formen und ihren Gebrauch – zum Gegenstand haben, sind häufig gekennzeichnet durch eine eher kritische Perspektive. Wenn über den Zustand der deutschen Sprache gesprochen wird, geschieht dies meist aus einer skeptischen Grundhaltung heraus. Tatsächlich ist die deutsche Sprache als hochentwickelte Kultursprache mit vielen Millionen literarisierten Sprecherinnen und Sprechern so leistungsfähig wie noch nie in ihrer Geschichte. Dass das so ist, verdanken wir nicht zuletzt dem intensiven Kontakt, in dem das Deutsche als Sprache in der Mitte Europas mit seinen Nachbarsprachen steht, seit wir es historisch fassen können. Eines der Themen, die regelmäßig im Zentrum öffentlicher Sprachdiskurse stehen, ist der Einfluss anderer Sprachen auf das Deutsche, insbesondere der Einfluss aus dem Englischen. Die sogenannten Anglizismen – Wörter die tatsächlich oder auch nur scheinbar aus dem Englischen ins Deutsche übernommen wurden – werden einerseits von sehr vielen Sprecherinnen und Sprechern in großer Zahl verwendet. Andererseits werden sie vielfach kritisch bewertet, bisweilen gar als Bedrohung für das Deutsche wahrgenommen. Der Deutsche Sprachrat ruft hier zu einer differenzierten Betrachtung auf.

Deutsch und andere Sprachen

Wo Sprachgemeinschaften miteinander in Kontakt stehen, beeinflussen sich die beteiligten Sprachen gegenseitig. Fremdsprachige Übernahmen zur Füllung tatsächlicher oder vermeintlicher lexikalischer Lücken sind besonders häufig, wenn ein (auch nur subjektives) kulturelles Gefälle zwischen den Sprachgemeinschaften besteht. Schon in germanischer Zeit hat das Lateinische ganz erheblichen Einfluss auf die Vorläuferdialekte des Deutschen ausgeübt; das ganze Mittelalter hindurch blieb das Lateinische bestimmend. Noch heute ist der weitaus größte Teil des deutschen Lehnwortschatzes – in der Sprachgeschichtsschreibung geht man von rund 80 Prozent aus – lateinisch-griechischer Prägung. Die andere Sprache, die schon im Hochmittelalter und dann vor allem im 17. und 18. Jahrhundert auf das Deutsche gewirkt hat, ist das Französische. Dabei spielt das Französische auch eine wichtige Mittlerrolle, große Teile des lateinischen Erbes sind erst über das Französische ins Deutsche gelangt.

Deutsch und Englisch

Anglizismen spielen hingegen für das Deutsche bis in die frühe Neuzeit praktisch keine Rolle. Erst ab dem 18. Jahrhundert änderte sich das in dem Maße, in dem England eine zunehmende politische Bedeutung gewann. Im 20. Jahrhundert weitete sich der englische Einfluss erheblich aus, getragen insbesondere durch die kulturelle Attraktivität der USA seit dem Zweiten Weltkrieg. Korpusuntersuchungen zeigen, dass der Anteil englischstämmiger Wörter in der geschriebenen deutschen Standardsprache in der Zeit von 1900 bis 2000 erheblich gewachsen ist, und zwar etwa um den Faktor 10. Dieser Befund darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Anglizismen im Vergleich zum lateinisch-stämmigen Wortschatz noch immer einen weitaus geringeren Anteil haben.

Anglizismen im Deutschen

Die meisten englischen Lehnwörter behalten ihre englische Orthographie. Sie sind damit im deutschen Schriftsystem auffällig. Das gilt in Teilen auch für die Aussprache, die bisweilen keine Schwierigkeiten bereitet, sich oft jedoch an der englischen Phonetik orientiert (oder vermeintlich englische Lautungen nachbildet). Die grammatische Integration ist hingegen in aller Regel unproblematisch, die allermeisten Anglizismen passen sich ohne Mühe in die deutsche Flexion ein. Das bedeutet auch, dass die deutsche Grammatik vom Englischen praktisch unbeeinflusst bleibt; trotz des großen Wortschatzzuwachses ist das sprachliche System des Deutschen nicht berührt. Wenn viele Menschen sich dennoch an der Verwendung von Anglizismen stören, liegt das also nicht daran, dass von diesen irgendeine ernsthafte Gefahr für die deutsche Sprache ausginge. Vielmehr ist es so, dass Anglizismen aufgrund ihres charakteristischen Gepräges eine besondere Auffälligkeit in geschriebenen wie gesprochenen Texten haben, die gezielt als stilistisches Mittel eingesetzt werden kann. Anglizismen werden als Prestigesignale vor allem in bestimmten Sachbereichen wie etwa der Werbung, der Unterhaltungselektronik oder der Informationstechnologie verwendet, in anderen Bereichen des sprachlichen Alltags kommen sie hingegen kaum vor. Durch den Einsatz von Anglizismen kann man einem Text eine bestimmte Färbung geben – und kann damit, wie bei allen stilistischen Entscheidungen, auch auf Ablehnung stoßen. Dabei können auch, sicher auch in Abhängigkeit von den Englischkenntnissen der Adressaten, Verständnisbarrieren entstehen, die für Unwillen sorgen – aber auch das ist natürlich ein Problem, das in gleicher Weise bei der gezielten Verwendung lateinischer oder französischer Fremd- und Lehnwörter entstehen kann.

Kritik an einem als übermäßig empfundenen Gebrauch von Anglizismen ist selbstverständlich legitim, so wie jede Form des Sprachgebrauchs kritisiert werden kann. Es hilft jedoch, sich dabei bewusst zu machen, dass es dabei nie um die Sprache als solche geht, sondern stets um die sprachlichen Auswahlentscheidungen eines einzelnen Sprechers, einer einzelnen Sprecherin, die ihrerseits mit gutem Recht getroffen werden.