Stellungnahme des Deutschen Sprachrats zu den Themen Hassrede, Verrohung der Sprache und „politische Inkorrektheit“

IDS - Prof. Dr. H. Lobin

Der Deutsche Sprachrat blickt besorgt auf eine Entwicklung, nach der in verschiedenen Bereichen der öffentlichen oder halböffentlichen Kommunikation eine Tendenz zu Beleidigungen, Diffamierungen und Herabwürdigungen zu verzeichnen ist. Diese beziehen sich auf Personen, die selbst in der Öffentlichkeit stehen, aber auch auf Mitmenschen, die sich nicht im Fokus der Öffentlichkeit befinden. Derartige Erscheinungsweisen sprachlicher Inzivilität sind in Foren und sozialen Medien im Internet zu finden, aber auch in der politischen Kommunikation bis hinein ins Parlament.

Es wäre falsch, hasserfüllte Sprache nur auf Kommunikation im Netz zu reduzieren, nicht nur die sozialen Medien sind Hauptaustragungsort negativer Emotionen und Äußerungen. Formen der Hassrede hat es schon in früheren Zeiten gegeben, und von menschenverachtenden und diffamierenden Äußerungen war insbesondere Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt. Soziale Medien bilden aber die Erweiterung eines Kommunikationsraums, in dem in besonders augenfälliger Weise zutage tritt, was in der realen, analogen Welt nur latent, aber vielleicht doch schon länger vorhanden ist.

Ob im Netz oder in der analogen Welt – die Taktung von Themen, Diskursen und Meinungsäußerungen nimmt beständig zu. Die intensive Mediennutzung im Alltag verstärkt diese Taktung zusätzlich, und das führt wiederum unweigerlich dazu, dass noch nie so viel geschrieben und gelesen wurde wie heute, allerdings weniger intensiv und vertieft, sondern vielmehr punktuell, flüchtig und vernetzt. Bezogen auf kontroverse Themen entstehen in den Echoräumen sozialer Medien Empörungs- und Diffamierungsspiralen, die das Miteinander vergiften und eine auf Abwägung abzielende Meinungsbildung blockieren.

Das Sprachverhalten wird dadurch stark geprägt: Es entsteht der Eindruck, dass Erfordernisse einer situations- und adressatengerechte Sprache durch Schnelligkeit, Medienvielfalt und Vernetzung zurückgedrängt werden. Dies kann zur Folge haben, dass auch Hemmungen entfallen, Grenzen im Miteinander einzuhalten. Die ständige Konfrontation mit Inzivilität verschiebt dabei den Raum dessen, was noch als zum Bereich des Sagbaren gehörig empfunden wird. Menschen, die Hassrede (hate speech) verbreiten, nutzen Kommunikationsformen, die diese Tendenzen begünstigen, um andere Menschen oder ganzen Bevölkerungsgruppen durch Beleidigungen zu verletzen oder herabzusetzen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Phänomen der Hassrede oftmals um antagonistische Kommunikation handelt: Entsprechende Äußerungen sollen nicht nur diffamieren, sondern auch provozieren und dadurch auch die eigene Position markieren. Dies wird zuweilen als eine Gegenreaktion auf Zumutungen der „anderen Seite“ inszeniert – reale oder vorgebliche sprachliche Manipulation, etwa durch „politisch korrekten“ Sprachgebrauch, wird mit einem umso offenkundigeren Verstoß dagegen erwidert.

Die derzeit geführten Diskussionen um gesellschaftliche Werte, wertenden Sprachgebrauch, politische (In-)Korrektheit und die Verrohung ganzer Diskurse macht es erforderlich, den Blick auf die Strukturen sprachlichen Handelns zu lenken und nach Wegen der Steuerung und Bewältigung dieser Krise öffentlichen Sprechens zu suchen. Die linguistische Perspektive kann dabei helfen, sprachliche Indikatoren von Hassrede zu ermitteln und ein Bewusstsein für das Gewalt- und Machtpotenzial von Sprache zu schaffen. Der Gebrauch von Hassrede und politischer Inkorrektheit im Diskurs muss in differenzierter Weise analysiert werden, um Aufklärung zu deren Erscheinungsformen und Funktionsweisen zu ermöglichen. Bestehende gesetzliche Regelungen wie etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) oder die Straftatbestände der Beleidigung, der üblen Nachrede oder der Verleumdung sind dabei konsequent einzubeziehen. Die verwischte Grenze des Sagbaren gilt es innerhalb des öffentlichen Diskurses wieder sichtbarer hervortreten zu lassen.